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Die Entdeckung der Currywurst – Eine Kolonialgeschichte? |
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Wenn die Sonne abends den großen afrikanischen Himmel hinter den Dächern der Wellblechhütten Accras verlässt, ist dies das Zeichen für Solomon mit seiner Arbeit zu beginnen.
In der Hauptstadt Ghanas, zwischen Independence Square, Fußballstadion und dem Friedhof von Osu fängt Solomon an seinen Grill zu befeuern. Es ist bereits dunkel und auch die letzten verlassen den Friedhof, auf dessen Steingräbern sie sich tagsüber ausgeruht oder von Grabstein zu Grabstein geturnt sind. Solomon ist dreiundzwanzig und studiert in der Hauptstadt der Ashanti, in Kumasi, im Inneren des Landes. Die Semesterferien und der Schnapsladen seines Onkels treiben ihn hier an die Küste. Das Studium ist teuer und Erwerbsquellen rar, deswegen bestückt Solomon jetzt für seinen Onkel selbstgeschnitzte Holzspieße mit zähem Ziegenfleisch. Auf der Hauptstraße rast – mit großer Geste – ein Regierungskonvoi vorbei während Solomon seine Spieße in die gläserne Auslage stellt. Das Interesse gilt den eigenen Sorgen des vergangenen Tages, wie es auch der Schriftzug über der vergitterten Getränkeausgabe diktiert: „No Politics“.
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Indessen hat sich der brennende Müll auf der Straße mit der Unsichtbarkeit der Nacht geschmückt, bloß seine Rauchschwaden steigen gespenstisch in den Himmel auf, um sich mit den tiefhängenden Wolken zu vereinigen, den typischen Geruch von verbranntem Plastik weiter übers Land zu tragen. Alles wie immer und doch hat ein weiterer Protagonist unbemerkt die Szene betreten…
Solomon hat inzwischen dafür gesorgt, dass die Ziegenspieße nicht mehr allein unter der 20 Watt Glühbirne im Glaskubus fristen und wer an dieser Stelle noch glaubt wir befinden uns in einem Entwicklungsland, ist einer gewaltigen Täuschung erlegen.
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Daumendick geschnitten, in zarter Pelle, akkurat um den Holzspieß geschlungen präsentieren sie sich nackt und stolz der spärlichen Laufkundschaft: Einige Rinderwürste!
Solomon rührt noch einige Male auf dem Grund seines Plastikeimers um der Gewürzmischung eine gleichmäßige Entfaltung des Aromas zu ermöglichen. Den Begriff „Curry“, ob als Gericht oder Gewürzmischung, hat hier wohl noch niemals ein Ohr vernommen und doch verblüfft Solomons Mischung durch eine willkommene Ähnlichkeit.
Ein lustiger Zufall für den Laien, eine Sensation für den Fachmann und Wurstanthropologen. Die Geschichte der Currywurst dehnt sich auf den afrikanischen Kontinent aus: „Out of Africa“! Nichts liegt näher! Natürlich!
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Für 5000 Cedis (etwa 0,30 EUR) gehört die ghanaische Currywurst hier, zusammen mit einer großen Flasche „Star“-Lagerbier, zu einer festen Institution. Es gibt größere Spots als Solomons, mit mehr Würsten und mehr Umsatz, aber die Stammkundschaft aus dem umliegenden Block weiß seine Großzügigkeit bei der Würzung zu schätzen. Und so sind auch bald die drei Plastikstühle besetzt, die Solomon auf Anfrage auf die Straße stellt.
Selbstredend verrät der Hüter sein Geheimnis nicht und so bleibt nicht viel mehr über ghanaischen Curry zu berichten, als dass seine Qualitäten in einer dumpfen Ursprünglichkeit und erleuchtender Schärfe liegen. So lautet dann auch das abschließende Urteil: Unvergleichlich, ein elitäres Geschmackserlebnis!
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Es ist an der Zeit die etlichen Theorien zur Entdeckung der Currywurst zu überdenken:
Am stichhaltigsten erweist sich unter Hinzunahme der neuen Erkenntnisse über die ghanaische Currywurst-Kultur die „Hamburger-Theorie“(s.u.). Allerdings muss sich diese, mehr denn je, einer kritischen Hinterfragung stellen: Schämte sich Lena Brückner einer Liaison mit einem Schwarz-Afrikaner?
Die derzeit heiß diskutierte Überlegung hat den Import der Currywurst durch einen zwangsrekrutierten, afrikanischen Soldaten der Alliierten im Zweiten Weltkrieg zum Gegenstand.
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Schräg gegenüber Solomons Wurstgrill steht heute eine Gedenkstelle für gefallene Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Die ehemaligen Kolonielmächte, wie z.B. England, zwangen Bewohner ihrer afrikanischen Kolonien – in gewohnter Praxis – zum Kampf für ihre Interessen. Auf diesem Wege könnte ein Ghanaer in die Hansestadt gelangt sein und dort ein Verhältnis mit Lena Brückner angefangen haben, der es damals nicht an optischen Reizen gefehlt haben soll. Als begabte Improvisationsköchin in der Vorratskammer der Not, hatte sie ihrem Geliebten schon bald seine Lieblingsspeise nachgekocht. Laut Theorie schämte sie sich bei zunehmender Popularisierung des Rezepts, aufgrund der herrschenden politischen Stimmung, die Quelle dieser himmlischen Komposition preiszugeben. Dieses Verhalten könnte eine Lücke im bisherigen Erklärungsgehalt der Theorien schließen, in denen das Moment der Schöpfung mit reinem Zufall oder einer emotionalen Stimmung nur unzureichend erklärt wird.
In Zukunft wird sich zeigen, ob die „Out of Africa“-These von Bestand sein wird. Eines jedoch wurde erneut unwiderruflich bewiesen, der universale Charakter der Currywurst nämlich, der sich nicht um Hautfarben schert: Die Wurst ist wurstfarben und weder schwarz noch weiß!
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Die „Hamburger Theorie“
Am Anfang einer jeden Auseinandersetzung der Entstehungsgeschichte mit der Königin der Würste steht die Verwirrung… die Currywurst kommt nicht aus Berlin?
Nein! Die Currywurst stammt nicht aus Berlin, denn sie stammt aus Hamburg und wurde dort schon sehr viel früher entdeckt, als die herrschende Meinung es vorgibt zu wissen.
Wie immer, wenn den mühsam erlernten Grundwerten und moralischen Vorstellungen der Welt etwas entgegengesetzt wird, treibt es den schwachen menschlichen Geist zu ebenso hilflosem, wie naivem Klammern an Altbewährtem. Die Verfechter der „Berliner-Currywurst“ sind zahlreich, vehement und prominent, aber keineswegs seriös!
Herta Heuwer soll im September 1949 in ihrem Imbiss am Stuttgarter Platz, Berlin durch prophetenhaftes „Herumexperimentieren“ mit Wurst und Würzmittel die Currywurst entdeckt haben.
Experten ahnten es schon lange und nun spricht auch die Beweislage eindeutig für ihre frühe Vermutung und jetzige Gewissheit, die „Hamburger Theorie“:
Demnach hat Lena Brückner (vermutlich ein Deckname) bereits einige Jahre vorher, aus einem tiefen Gefühl des Glaubens heraus, die Currywurst am Großneumarkt in Hamburg entdeckt.
Als die Berliner Geschichtsfälschung 2003 in der Errichtung einer Gedenktafel zu Ehren Herta Heuwers gipfelte, sah sich der CCH zur Handlung gezwungen und legte seine Beweise für die „Hamburger Theorie“ am 03.07. erstmalig der Öffentlichkeit vor.
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Alle Dokumente belegen unzweifelhaft die Theorie einer „Hamburger Currywurst“, die noch lange vor dem Jahre 1949 entdeckt wurde. Die Veröffentlichung dieser Dokumente wurde von einer symbolischen Gedenktafel-Errichtung zu Ehren Lena Brückners unter großer öffentlicher sowie prominenter Anteilnahme begleitet.
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Steine auf dem Weg
Noch vor wenigen Jahren galt das moralische Zugpferd unter den Würsten als minderwertig und sogar gesundheitsschädigend. Die Einstellung der Deutschen gegenüber einem ihrer fundamentalsten Werte in den 90er Jahren veranschaulicht ein Bericht der Fachzeitschrift „Schmock“ aus dem Jahre 1994:
„(…)viele tun so, als wenn sie mit der Currywurst abgeschlossen hätten, als wenn sie Bestandteil zwar der jugendlich ungesunden Lebensweise war, in den Zeiten der Öko- und Bio- und Sonstwas-Ernährung überhaupt nicht mehr auf den Speisezettel kommt.“
Die heute 42 jährige Mitherausgeberin Fischer erinnert sich: „(…) es galt so ein bisschen als iegitt!“ und findet damit milde Worte für den damals wütenden Klassenkampf.
Bis in das neue Jahrtausend zieht sich die rote Spur diskriminierter Currywürste:
Im Oktober 2002 wurde eine mobile Imbissbude, die lange Zeit als Versorgungs- und Repräsentationszentrum im Bereich Brandenburgertor ausgezeichnete Arbeit geleistet hat (trotz einer Demonstration) zwangsverwiesen. Der CCH forderte daraufhin den Ausschluss Berlins aus der EU (lesen sie die ganze Story bei SPIEGEL online).
Im Jahre 2002 verärgerte Greenpeace die Currywurstgemeinde mit einem Patent auf „Richtig leckere Currywurst". Der Versuch mit dieser Aktion die Currywurst, über den Umweg der genetischen Patente, mit Lebewesen gleichzusetzen, um ihr damit eine Seele zu attestieren, hält der CCH grundsätzlich für richtig, befürchtet in der Folge allerdings eine mögliche Artenschutzverordnung, die auch ein „Überleben der schlecht gewürzten Currywürste mit mangelnder Konsistenz“ unterstützt.
Zum einen ist dieses Handeln von Greenpeace nicht zu akzeptieren, zum anderen lässt sich in diesem Verhalten auf gesellschaftlicher Ebene eine Art postmaterialistischer Liebeserklärung erkennen, die der Currywurst auch zu mehr Anerkennung verhelfen könnte.
Dem steinigen Weg zum Trotz wird sich der Siegeszug der Currywurst auch in Zukunft fortsetzen. Dafür spricht die regelmäßige Medienpräsenz sowie die jährlich steigende Anzahl an Clubmitgliedschaftsanträgen.
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